Sicher unterwegs: »AIR«-Röntgensystem untersucht Elektroautobatterien

Das Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik, ein Bereich des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS, hat eine neuartige Prüfmöglichkeit für Batterien von Elektro-Fahrzeugen vorgestellt. In Zusammenarbeit mit der Hochschule München haben die Wissenschaftler das Forschungsprojekt »AIR« (Antriebsbatterieinspektion mittels Röntgen) präsentiert, Messergebnisse aus Vorstudien vorgestellt und eine Einordnung vorgenommen, welche Möglichkeiten sich für Privatanwender nach Abschluss des Forschungsprojekts eröffnen können.

© Fraunhofer IIS/Christina Müller
Der Messaufbau des AIR-Röntgensystems erinnert an eine klassische Waschanlage: Die über dem Fahrzeug positionierte Röntgenquelle emittiert einen feinen Röntgenstrahl, der das Fahrzeug einschließlich der Batterie passiert und von einem am Boden positionierten Detektor aufgefangen und verarbeitet wird.
© Fraunhofer IIS/Christina Müller
Michael Salamon, Gruppenleiter für Hochenergie-Röntgensysteme, stellt die neuartige Prüfmöglichkeit für Batterien von Elektro-Fahrzeugen vor.
© Fraunhofer IIS
Vollständiger Scan der Batteriemodule eines Elektrofahrzeugs mit dem AIR-Portal. Deutlich sichtbar sind die einzelnen zylindrischen Batteriezellen und deren richtige Lage, wodurch eine Beschädigung auszuschließen ist.

Das vollständige Röntgen endmontierter Fahrzeuge lässt sich aktuell nur an wenigen Orten weltweit unter Laborbedingungen realisieren – unter anderem am Entwicklungszentrum Röntgentechnik des Fraunhofer IIS in Fürth. Die Prozedur ist allerdings aufwendig und kostspielig, sodass deren Einsatz gegenwärtig Unternehmen vorbehalten bleibt, die insbesondere sicherheitsrelevante Bauteile im Entwicklungsprozess überprüfen. Mit dem neu entwickelten AIR-System (Antriebsbatterieinspektion mittels Röntgen) ändert sich das: Das System ermöglicht es, die mechanische Integrität von Batteriemodulen visuell zu bewerten, indem ein Röntgenbild des Fahrzeugs und der im Unterboden montierten Antriebsbatterie aufgenommen wird. Hierfür wird das Fahrzeug in das Messsystem hineingefahren – der Messaufbau erinnert an eine klassische Waschanlage. Die Röntgenaufnahmen werden aus der Vogelperspektive erstellt. Die über dem Fahrzeug positionierte Röntgenquelle emittiert einen feinen Röntgenstrahl, der das Fahrzeug einschließlich der Batterie passiert und von einem am Boden positionierten Detektor aufgefangen und verarbeitet wird. Selbst in voll gekapselten Batteriemodulen ist eine Detailbetrachtung der Batterie möglich, um Aussagen über den mechanischen Zustand einzelner Batteriezellen, des Batterierahmens und weiterer Merkmale treffen zu können. Das neue System ist dabei speziell auf die Anforderungen einer möglichst schnellen und kostengünstigen Prüfung ausgelegt.

Der Markt braucht objektive Bewertungsmöglichkeiten

Bislang ist die fundierte Begutachtung und Zustandsbewertung der Batterie eines Elektrofahrzeugs nur sehr rudimentär möglich. Gutachter wie Prof. Klaus Böhm der Hochschule München müssen sich weitestgehend auf Diagnose-Tools der Hersteller verlassen. »Es läuft in der Praxis im Wesentlichen genauso ab, wie man es von der Fehlerdiagnose halbwegs moderner Fahrzeuge kennt. Stecker rein und eine Diagnosesoftware liest eventuelle Probleme aus. Teilweise wird dies bei manchen Konzepten über mehrere Tage während der Fahrt praktiziert. Bei schwerwiegenderen Unfällen, beispielsweise dann, wenn der Airbag im Fahrzeug ausgelöst hat, gibt es sehr klare Handlungsanweisungen der Hersteller. Hier muss in der Regel verpflichtend der Austausch der Traktionsbatterie vorgenommen werden, auch wenn diese unter Umständen keinen Schaden genommen hat«, so Prof. Böhm. Einerseits sind solch strikte Sicherheitsvorkehrungen gegenwärtig unumgänglich, um die Betriebssicherheit der Fahrzeuge – und damit auch die Sicherheit der Insassen und anderer Verkehrsteilnehmer – gewährleisten zu können. Andererseits ist es unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit und Ressourcensparsamkeit fragwürdig, unbedenkliche, funktionsfähige Batterien zu recyclen. »Hier gibt es einen großen Bedarf des Marktes nach einer zusätzlichen objektiven Bewertungsmöglichkeit von Fahrzeugbatterien. Deshalb forschen wir bereits seit vielen Jahren an Röntgensystemen, die bei der Begutachtung von Hochleistungsakkus eine zentrale Rolle einnehmen könnten«, so Michael Salamon, Gruppenleiter am Entwicklungszentrum Röntgentechnik des Fraunhofer IIS.

Aufruf zur Studienteilnahme

Das System wird in Zukunft für Anwendungen der Schadensbegutachtung, Wertermittlung und Lebenszyklusanalyse im Feld erprobt und weiterentwickelt. Um die Entwicklung und schnelle Automatisierung der neuen Technologie zu beschleunigen, ist das Fraunhofer IIS aktuell auf der Suche nach Probanden, die ihr Fahrzeug für die Erhebung von Röntgendaten zu Verfügung stellen. Wenn Sie Interesse an der Teilnahme an der Studie haben, freuen wir uns über Ihre Nachricht an info-ezrt@iis.fraunhofer.de.

[Hinweis vom 15.4.2024: Vielen Dank für das große Interesse an der Studie zum »AIR«-Röntgensystem. Die Studie ist abgeschlossen, eine Teilnahme ist nicht mehr möglich.]

Stimmen zum Projekt

Michael Salamon, Fraunhofer IIS: »Mit der AIR-Technologie erschließt sich erstmalig die Möglichkeit, eine detaillierte Betrachtung des Fahrzeugunterbodens schnell und einfach vorzunehmen. Mit der Ausrichtung der Technologie auf den Lebenszyklus von Fahrzeugen, leistet das Fraunhofer IIS im Rahmen einer Strategischen Initiative Pionierarbeit, um das Vertrauen in die noch junge Technologie zu steigern und so unter anderem den im Entstehen befindlichen Gebrauchtwagenmarkt zu fördern.«

Prof. Klaus Böhm, Hochschule München: »AIR hat das Potential, die Gutachtenerstellung im Kontext der Elektromobilität – und darüber hinaus – zu revolutionieren. Die beschriebenen Grenzen der bisher angewandten Methoden können unter Einbeziehung von AIR in einen multidisziplinären Ansatz signifikant erweitert werden. Dies wird zu einer Reduzierung der Reparaturkosten bei Elektrofahrzeugen beitragen. Genauere und belastbarere Gutachten können zudem zu kalkulierbareren Gebrauchtwagen-Prozessen und zu günstigeren Versicherungsprämien bei Elektrofahrzeugen führen.«

© Fraunhofer IIS/Paul Pulkert
Das »AIR«-Röntgensystem untersucht Elektroautobatterien.